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Voranschreitende Durchnässung der Schneedecke

Aktuelle Situation

Die Lawinengefahr war in den letzten Tagen (v.a. an Sonnenhängen) von einem frühlingshaften Tagesgang gekennzeichnet. Während sehr milder, sonniger Tage und recht klaren Nächten stelle sich ein sogenannter Schmelz- Frier- Zyklus ein. Während diesem führt Wärme im Tagesverlauf zu einer Aufweichung und somit Schwächung der Schneedecke (freies Wasser bedingt einen Festigkeitsverlust) – in der klaren Nacht hingegen strahlt die Schneedecke (auch bei Plusgraden) Wärme sehr gut ab, es bildet sich ein Schmelzharschdeckel und eine dadurch bedingt zeitweise hohe Festigkeit. Damit einher geht folglich auch die Lawinengefahr, welche mit voranschreitender Durchnässung im Tagesverlauf ansteigt, in der Nachtstunden absinkt.

Im Hinblick auf vermehrte Lawinenaktivität ist dabei insbesondere die erste Anfeuchtung von persistenten (langlebigen) Schwachschichten im Altschnee, aber auch die erste vollkommene Durchnnässung der Schneedecke relevant. Kantige Schwachschichten, welche über Wochen oder Monate hinweg kaum mehr reaktiv waren, können durch eindringendes Schmelzwasser wieder aktiviert werden und zu Lawinenabgängen führen. Eine komplette Durchnässung führt zu einem raschen Festigkeitsabfall und ebenfalls erhöhter Auslösewahrscheinlichkeit – mitunter auch durch das freie Wasser am gewachsenen Boden und erhöhter Gleitschneeaktivität. Im letzteren Fall – wenn die Schneedecke isotherm ist und das für den Gleitprozess bedeutsame Wasser von der Schneeoberfläche stammt – spricht man übrigens von sogenannten warmen Gleitschneelawinen.

Während steile Südhänge bereits bei vorangegangenen Wärmephasen bis weit hinauf komplett durchfeuchtet und Nullgrad- Isotherm wurden, erreichen wir diesen Zustand in diesen Tagen an steilen Westhängen unterhalb 2400m - 2600m vermutlich zum ersten Mal. Dort erwarten wir in diesen Tagen eine etwas erhöhte Lawinenaktivität. Ost- und Nordhänge werden je nach Wetterentwicklung in den nächsten Tagen und Wochen folgen. Wichtig ist während dieser Frühjahrs-Situation das auf Touren aufmerksame Verfolgen der voranschreitenden Durchnässung und eine rechtzeitige Beendigung von Touren. Viele Einflussfaktoren (Bewölkung, Luftfeuchtigkeit, Ein- und Ausstrahlung) beeinflussen nämlich den beschriebenen Schmelz-Frier-Zyklus und führen folglich zu einer relativ hohen Unsicherheit in der Prognose der Lawinengefahr.


Abb. 1: Zunehmende Durchfeuchtung der Schneedecke führt zu einem Anstieg der Gefahr von Nassschneelawinen. Im Bild ein kleiner, oberflächlicher feuchter Lockerschneerutsch in der Abfahrt vom Hochkönig (2941m; Foto: Leonhard Stock)
 

Die Wärme hat übrigens auch einen positiven Effekt: Triebschneeansammlungen dürften spätestens nach dem heutigen Samstag, 18.03. auch im schattigen Hochgebirge kaum mehr auszulösen sein.

Weitere Entwicklung

Am Sonntag, 19.03. wird die Luftschichtung etwas labiler, tagsüber verdichten sich die Wolken, ab dem Nachmittag ist vereinzelt mit zeitweiligen Schauern zu rechnen, die Temperaturen gehen zurück. Auch am Montag bleibt es zunächst regnerisch und trüb, am Nachmittag lockert es dann zunehmend auf. Im weiteren Wochenverlauf stellt sich wieder Hochdruckwetter ein und die Temperaturen steigen wieder deutlich an. Nach einem vorübergehenden Rückgang der Gefahr von Nassschneelawinen, wird diese dann also wieder ansteigen. Die Durchfeuchtung der Schneedecke schreitet voran.


Abb. 2: Wetterentwicklung der nächsten 5 Tage am Aberg (1888m) in den Dientner Grasbergen. Nach einem vorübergehenden Rückgang der Temperaturen mit wechselhaftem Wetter stellt sich ab Dienstag, 21.03. wieder sonniges und warmes Hochdruckwetter ein.
 


Abb. 3: Prognose der Neuschneesumme am Aberg (1888m) in den nächsten beiden Wochen. Der angekündigte Niederschlag ist noch in weiter Ferne und entsprechend mit großen Unsicherheiten behaftet.
 


Abb. 4: Die derzeitigen Schneehöhen sind im Vergleich zu den rund 30 Jahre alten Messreihen nahe des Rekordminimums. Im Bild die Messwerte drei unserer Beobachterstationen quer über das Land.
 

Rückblick

Ein kurzer Rückblick auf die vergangene Woche in Bildern.


Abb. 5: Wetterentwicklung der vergangenen Woche an der Station Ernstalm in den Niederen Tauern. Mit einer Kaltfront kam es Mitte der Woche zu einem markanten Temperaturrückgang und etwas Neuschnee. Ersichtlich ist auch ein leichter Rückgang der Schneehöhe zu Niederschlagsbeginn – dies ist auf kurzzeitigen Regen zurückzuführen, welcher verbreitet bis über 2000m anzutreffen war. Am Verlauf der Oberflächentemperatur kann der Schmelz-Frier-Zyklus seit Donnerstag gut nachvollzogen werden.
 


Abb. 6: Neuschneemengen inkl. Setzung des Niederschlags von Mitte vergangener Woche. Vor allem im Westen und Norden sind oberhalb etwa 2000m 10 bis 30cm Neuschnee gefallen. Zu Beginn des Niederschlags hat es mancherorts jedoch kurzzeitig weit hinauf geregnet. Dort findet sich unter dem Neuschnee auch Nordseitig ein dünner Schmelzharschdeckel.
 


Abb. 7: Nach dem Niederschlag konnten oberhalb der Waldgrenze oft gute Bedingungen mit Pulverschnee angetroffen werden. Kolmkarspitz (2529m) im Rauriser Tal (Foto: LWD Salzburg, 15.03.2023).
 


Abb. 8: Im Tal Frühling, auf den Bergen Winter. Tristkogel (2642m) in den Hohen Tauern (Foto: LWD Salzburg, 15.03.2023).
 


Abb. 9: Der Neuschnee wurde oft auf hartem Untergrund abgelagert. Trotz recht geringer Schneebedeckung konnte man so Bodenkontakt gut verhindern und eine schöne Abfahrt genießen. Hühnerleitennock (2182m) in den Nockbergen (Foto: Nani Klappert, 16.03.2023).
 


Abb. 10: Der Nordwestwind hat während des vergangenen Niederschlags oft nur in exponierten Lagen gewirkt. Oft konnte an Schattenhängen noch guter Pulverschnee angetroffen werden. Im Bild die Kamplbrunnspitze (2190 m) unterhalb der Bischofsmütze (2485m; Foto: Peter Bruckbauer, 16.03.2023).
 


Abb. 11: Auch im Tennkessel schaute es nach dem Schneefall wieder tief- winterlich aus (Foto: Christoph Lindenthaler, 16.03.2023).
 


Abb. 12: Mittelgroße Schneebrettlawine am Tramerkopf (2841m) in einem Nordhang auf ca. 2750 m oberhalb des Goldbergkees an der Grenze zu Kärnten. Das Schneebrett hat sich während des Niederschlags am 15.03. oder 16.03. spontan gelöst (Foto: Wolfgang Rohrmoser, 16.03.2023).

 


 


Matthias Walcher ist Lawinenprognostiker im Team des operativen Lawinenwarndienstes Salzburg bei der Geosphere Austria. Neben der Verfassung von Lawinenvorhersagen und Blogeinträgen arbeitet er mit benachbarten Warndiensten an diversen Projekten im Fachbereich. In seiner Vergangenheit hat Matthias bereits für verschiedene europäische Warndienste gearbeitet, in Nord- und Südamerika Erfahrungen gesammelt und ist heute auch privat noch in verschiedenen Institutionen aktiv.