Aktuelle Situation
Mit stark bis stürmischem Wind aus westlichen Richtungen haben sich in den vergangenen Tagen in der Höhe frische Triebschneeansammlungen gebildet. Da es kaum Neuschneezuwachs gab, konnte der Wind fast ausschließlich nur den lockeren Altschnee an der Schneeoberfläche verfrachten. Triebschneeansammlungen sind deshalb meist nur klein, wurden aber an geschützten Schattenhängen auf eine ungünstige Schneedecke abgelagert und sind dort leicht zu stören. Dies hat auch ein Lawinenunfall gezeigt, welcher sich gestern nahe der Richterhütte in der Reichenspitzgruppe im Nationalpark Hohe Tauern ereignet hat.
Abb. 1: Am Donnerstag, 09.03. durch Personen ausgelöste, mittelgroße Schneebrettlawine in einem Nordwesthang auf 2300m unterhalb der Richterhütte in den Zillertaler Alpen. Im Bild erkennt man einen recht ausgedehnten flacheren Bereich hinter der Hütte, aus welchem mit Südföhn an den Tagen zuvor lockerer (Trieb-)Schnee in den Unfallhang eingetragen wurde. Dieser lagerte auf der ehemaligen Altschneeoberfläche, bestehend aus kantigen Kristallen, welche als Schwachschicht fungierte (Foto: LWD Salzburg, 09.03.2023).
Abb. 2: Oberer Anrissbereich der Lawine. Das Gelände steilt kurz unterhalb der Hütte nochmals ordentlich auf und erreicht an dieser Stelle rund 45 Grad. Das nahe des Anrisses zusammen mit der Alpinpolizei aufgenommene Schneeprofil findet sich auf Lawis (Foto: Alpinpolizei, 09.03.2023).
Unterhalb etwa 2200m, stellenweise auch weiter hinauf, wurde die Schneedecke vom wechselhaftem „April- Wetter“ der vergangenen Tage in Mitleidenschaft gezogen. Schauerartiger Regen bis über 2000m, warme Temperaturen und feuchte Luft sowie diffuse Strahlung haben dort zu einer Anfeuchtung der Schneedecke an allen Expositionen geführt. Einerseits hatte dies kleine spontane nassen Lockerschneelawinen aus extrem steilem, schattseitigem Gelände zur Folge, andererseits aber konnte durch die Anfeuchtung der ehemals lockere Schnee nicht mehr vom Wind transportiert werden bzw. stabilisierten sich im Vorfeld gebildete frische Triebschneelinsen durch den Wärmeeinfluss.
Abb. 3: Daten der Wetterstation Lärchwand in der Glocknergruppe. Wechselhaftes und feuchtes, in der zweiten Wochenhälfte auch zunehmend warmes und windiges Wetter auf Salzburgs Bergen.
Abb. 4: „April-Wetter“ Anfang März. Mit warmen Temperaturen, feuchter Luft und diffuser Strahlung wurde die Schneedecke am Donnerstag, 9.3. bis in hohe Lagen angefeuchtet (Foto: Foto-webcam.eu, 09.03.2023).
Allgemein ist die Lawinengefahrensituation auf Salzburgs Bergen derzeit überschaubar. Die relativ wenigen Gefahrenstellen für trockene Lawinen sollten im sehr steilen Gelände (>35°) gemieden werden. Bei den sich derzeit rasch wechselnden Wetterbedingungen sollte man auf Tour jedoch besonders wachsam sein – und sich gegebenenfalls schnell ändernden (Lawinen-)Verhältnissen anpassen.
Abb. 5: In tiefen und mittleren Lagen (<2000m) liegt nur mehr sehr wenig Schnee und in auch in der Höhe sind die Schneehöhen im ganzen Land für die Jahreszeit stark unterdurchschnittlich. Im Bild ein Vergleich der Schneebedeckung in den Leoganger Steinbergen von vor einem Jahr (links) und heuer (rechts). Dabei gilt festzuhalten, dass auch das vergangene Jahr nicht überaus schneereich war (Foto: Foto-webcam.eu).
Weitere Entwicklung
Rege Tiefdrucktätigkeit über dem Atlantik sorgt in den nächsten Tagen weiterhin für sehr wechselhafte Wetterverhältnisse mit stark schwankendem Temperaturniveau. In der Nacht auf Samstag bringt eine markante Kaltfront stürmisch auflebenden Wind sowie eine deutliche Abkühlung. Neuschnee gibt es nur in kosmetischen Dosen. Am Sonntag bleibt es trüb und kühl, am Montag wird es zwischenzeitlich sonnig und wieder deutlich milder, bevor am Dienstag die nächste Abkühlung und erneut etwas Niederschlag angekündigt ist.
Hinsichtlich der Lawinengefahr wird sich wenig ändern. Mit etwas Neuschnee und Wind gilt es in der Höhe auf frische störanfällige Triebschneepakete zu achten. Zudem können die Wetterbedingungen immer wieder zu einem leichten Anstieg der Gefahr von (kleinen) Nassschneelawinen führen – dies gilt es besonders lokal zu beobachten und zu beurteilen.
Abb. 6: In der Nacht auf Samstag, 11.03. erwartet uns stürmischer Nordwestwind, welcher v.a. am Alpenhauptkamm erst am Samstagnachmittag wieder schwächer wird.
Abb. 7: Neuschneesumme bis Sonntagmittag. Die Kaltfront bringt (leider) nur wenig Niederschlag.
Abb. 8: Ausblick der Wetterentwicklung bis Mittwoch, 15.03. auf der Schmittenhöhe (1956m) bei Zell am See: Es bleibt sehr wechselhaft, die Temperaturen schwanken stark.
Abb. 9: Akkumulierte Neuschneesummen der nächsten rund zwei Wochen. Aus derzeitiger Sicht gibt es wenig Hoffnung auf eine Rückkehr des Winters…
Rückblick
Ein kurzer Rückblick auf die vergangene Woche in Bildern.
Abb. 10: Ältere spontane Schneebrettlawine, welche vermutlich während des Südföhn-Ereignisses zu Monatsbeginn abgegangen sein dürfte. Knallstein (2234m),Tennengebirge (Foto: Helmut Eichholzer, 04.03.2023).
Abb. 11: Blick vom Trattberg (1757 m) in Richtung Schlenken (1648m, links) und Schmittenstein (1695m, rechts) in der Osterhorngruppe. Grenzwertige Schneelage für Wintersport… (Foto: Peter Kostecka, 07.03.2023).
Abb. 12: An Schattenhängen bis auf rund 1800m hinab konnte bis Dienstag, 07.03. noch guter (aufbauend umgewandelter) Pulverschnee angetroffen werden. Im Bild Abfahrtsspuren vom Tristkogel (2642m) in den Hohen Tauern (Foto: Anna Heuberger, 07.03.2023).
Abb. 13: Voraussetzung für Abfahrtsgenuss war, dass entsprechende Hänge (oder Rinnen) etwas windgeschützt waren. Im Bild Abfahrt von der Felskarspitze (2506m) bei Zederhaus (Foto: Bernadette Höring, 04.03.2023).
Abb. 14: Wie hier am Plateau des Steinernen Meeres konnte der Wind uneingeschränkt walten; die Schneequalität war entsprechend mangelhaft, dafür wusste das Panorama zu belohnen (Foto: LWD Salzburg, 05.03.2023).
Matthias Walcher ist Lawinenprognostiker im Team des operativen Lawinenwarndienstes Salzburg bei der Geosphere Austria. Neben der Verfassung von Lawinenvorhersagen und Blogeinträgen arbeitet er mit benachbarten Warndiensten an diversen Projekten im Fachbereich. In seiner Vergangenheit hat Matthias bereits für verschiedene europäische Warndienste gearbeitet, in Nord- und Südamerika Erfahrungen gesammelt und ist heute auch privat noch in verschiedenen Institutionen aktiv.