Aktuelle Situation
Österreich liegt unter dem Einfluss eines Frontensystems, welches feuchte Luft aus Nordwesten an die Alpen heranführt. Heute Freitag, 28.04. überquert uns dabei eine Warmfront, welche vor allem im Westen Salzburgs für teils ergiebige Niederschläge sorgt. Die Schneefallgrenze liegt bei etwa 2300 bis 2500m.
Abb. 1: 24h- Niederschlagssumme bis Samstagmorgen: Vor allem im Westen des Landes sind verbreitet 20 bis 40mm Niederschlag prognostiziert. Bis auf etwa 2300- 2500m fällt dieser in Form von Regen.
Der Feuchtigkeitseintrag führt zu einer Schwächung der Schneedecke. Durch das freie Wasser gehen Bindungskräfte zwischen einzelnen Kristallen verloren und es kommt zu einem Festigkeitsverlust, was nasse Lockerschneelawinen zur Folge hat. Durch Auflast und Wasser, welches die Schneedeckenbasis erreicht, werden zudem Gleitprozesse verstärkt und die Gleitschneelawinenaktivität nimmt zu. Wenn ergiebiger Regen auch über etwa 2400m auftritt, dann können vor allem an Schattenhängen auch tiefliegende Schwachschichten im Altschnee erstmals durchfeuchtet werden, was die Festigkeit dieser Schichten wiederum reduziert und spontane nasse Schneebrettlawinen zur Folge haben kann. Letzteres ist besonders in den Hohen Tauern vereinzelt möglich. Für alle beschriebenen Lawinenarten gilt: In der Sturzbahn kann die durchnässte Schneedecke bis zum Boden hin mitgerissen werden und Lawinen können – je nach Mächtigkeit der vorhandenen Schneedecke – vereinzelt große Ausmaße annehmen.
In der Höhe fällt der Niederschlag als Schnee. Es sind 20 bis 40cm Neuschnee möglich – gegen Osten fällt sukzessive weniger Niederschlag. Dies gilt auch für den Lungau. Der Wind weht meist nur in exponierteren Lagen über Verfrachtungsstärke und bildet kammnah frische Triebschneeansammlungen.
Weitere Entwicklung
Die Temperaturen bleiben in den kommenden Tagen mild, zeitweise scheint die Sonne. Konträr zur Nassschneeproblematik wirken Wärme und Sonne im Hinblick auf das Triebschneeproblem eher begünstigend: Triebschneeansammlungen verfestigen sich rasch und sind dann nur noch an steilen Schattenhängen in großen Höhen störanfällig. Die gleichen Einflussfaktoren - Wärme und Sonne - in Kombination mit teils bedeckten Nächten bedingen allerdings auch das Fortbestehen des Nassschneeproblems. V.a. oberhalb der derzeitigen Schneefallgrenze sind in den nächsten Tagen spontane Lockerschneelawinen aus extrem steilen (>40°) Hängen zu erwarten. Zudem bleibt die Gleitschneeproblematik (v.a. Hohe Tauern) ein Thema.
Abb. 2: Wetterentwicklung in den nächsten Tagen am Gitterpunkt Mooserboden (2030m) in den Hohen Tauern: Die Temperaturen bleiben mild, häufig ist es bewölkt. In der Nacht auf Dienstag ist erneut etwas Niederschlag prognostiziert.'
Das Altschneeproblem, welches sich nach dem Gefahrenmuster kalt auf warm mit der Kaltfront in der Nacht auf Donnerstag, 13.04. ausgebildet hat und in weiterer Folge zu zahlreichen Lawinenabgängen führte (siehe unten), hat sich in der Zwischenzeit etwas entspannt. Die Störanfälligkeit ist laut Rückmeldungen unserer Beobachter deutlich zurückgegangen.
Abb. 3: Vergleich zweier Schneeprofile vom 26.04. in den Hohen Tauern. Links an einem NO-Hang auf 2840m, rechts an einem NW-Hang auf 2500m. Interessant v.a. der Temperaturverlauf: An Nordhängen auf 2800m sind noch deutliche Kältereserven vorhanden, auf 2500m hingegen ist die Schneedecke – abgesehen vom oberflächennahen Neuschnee – bereits bis zum Boden hin 0-Grad-isotherm.
Noch zwei allgemeine Zeilen zur Schneedecke: Diese ist (v.a. nach dem derzeitigen Regenereignis) unter 1800m zu großen Teilen abgeschmolzen. Bis etwa 2500m hinauf an allen Expositionen bis zum Boden hin nass und 0-Grad isotherm. Bis zu dieser Höhe gibt es eine starke Zunahme der Schneehöhe. In den vergangenen Wochen gab es einiges an Neuschnee – derzeit messen wir dort die höchsten Schneehöhen der Wintersaison.
Abb. 4: Niederschlagssumme der vergangenen 14 Tage: Im Norden gab es bis zu 100mm Niederschlag. Am Alpenhauptkamm zwar etwas weniger, jedoch wurde er dort in hohen Lagen meist in fester Form abgelagert und führte zu einem stetigen Anwachsen der Schneehöhe.
Abb. 5: Schneehöhenverlauf an der automatischen Wetterstation beim Alpincenter (2450m) am Kitzsteinhorn. Die Schneehöhen sind stetig angewachsen und liegen derzeit im Bereich der Maximalwerte der derzeitigen Wintersaison.
Ende des täglichen Berichtwesens
Mit Montag, 1.Mai wird der tägliche Lawinenbericht für die Wintersaison 2022/23 eingestellt. Allerdings werden wir auch in den kommenden Wochen die Wetterentwicklung und die Lawinensituation im Auge behalten und in aktuellen Blogeinträgen auf die Situation und Gefahrenentwicklung hinweisen. Dazu sind wir auch weiterhin auf Rückmeldungen angewiesen und freuen uns über E-Mails an lawine(at)salzburg.gv.at
Einige kurze Tipps für sichere Frühjahrsskitouren:
- Firn gibt’s bekanntlich nach klaren Nächten. In der Bewölkungsanimation auf der Seite der GeoSphere Austria kann die Bedeckung in der Nacht und damit die mögliche Ausbildung eines Schmelzharschdeckels gut abgeschätzt werden. Gleichzeitig stellt der Schmelzharschdeckel den „Puffer“ dar, bevor eine weitere Durchfeuchtung der Schneedecke voranschreitet und die Gefahr von Nassschneelawinen im Tagesverlauf wieder ansteigt. Bedeutet: Sobald der Schmelzharschdeckel nicht mehr vorhanden ist, und die Schneedecke weich und faul wird, sollte man bestenfalls wieder im Tal sein. Das kommt übrigens auch dem skifahrerischen Vergnügen zu Gute.
- Besonders in den ersten 1-2 Tagen nach Schneefall und Wind sollten frische Triebschneeansammlungen v.a. an schattigen Steilhängen möglichst umgangen werden. Niederschlag und Wind lassen sich am besten an Stationsdaten ablesen.
- Bereiche unter Gleitschneerissen meiden oder die Expositionszeit möglichst verringern.
- Generell sollten immer die Konsequenzen eines Lawinenabgangs in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden: Oberhalb von Geländefallen wie Mulden oder Felsabbrüchen ist das Risiko deutlich höher als wenn Hänge gleichmäßig auslaufen.
Allgemein gilt: Bedingungen ändern sich im Frühjahr oft sehr rasch. Achtet möglichst darauf, wie sich die Schneedecke während einer Tour verändert und schreckt nicht vor einem Abbruch zurück, wenn die Bedingungen Zweifel hervorrufen.
Rückblick
Ein kurzer Rückblick der vergangenen Tage in Bildern.
Abb. 6: Am vergangenen Wochenende waren die Nächte (unerwartet) klar, tagsüber zeigte sich die Sonne und es war mild. Ab Wochenbeginn gingen die Temperaturen wieder deutlich zurück und es schneite bis in mittlere Lagen herab.
Abb. 7: Spontane mittelgroße Schneebrettlawine an einem Nordhang auf ca. 2700m zwischen Edlenkopf (2923m) und Gamskopf (2766m) im Rauristal. Durch milde Temperaturen und etwas (diffuse) Sonneneinstrahlung kam es zu einer besseren Bindung innerhalb des Schneebretts. Als Schwachschicht waren vermutlich kantige Kristalle maßgeblich, welche sich nach dem Gefahrenmuster kalt auf warm mit der Kaltfront in der Nacht auf den 13.04. gebildet hatten (Foto: Norbert Daxbacher, 21.04.2023).
Abb. 8: Auch im Bereich des Bauernbrachkopfes (3126m) wurden am Freitag, 21.04. einige spontane Lawinen an Nordhängen zwischen 2600m und 3000m beobachtet. Im Bild eine große Schneebrettlawine, welche unterhalb des Mooserbodens den Talboden erreichte (Foto: Tatjana Gugganig, 21.04.2023).
Abb. 9: Räumarbeiten an der Großglockner Hochalpenstraße. Die Wetterbedingungen und die Lawinensituation waren während der vergangenen Wochen alles andere als einfach. Ohne professionelle Arbeit von der hervorragenden Lawinenkommission der GROHAG, welche auf beiden Seiten bis zum Abschmelzen der Schneedecke tätig ist, wäre eine rechtzeitige Öffnung und Sicherung der Straße unmöglich (Foto: GROHAG, 21.04.2023).
Abb. 10: Der frühe Vogel fängt den Wurm. Ein tragender Schmelzharschdeckel und gute Firnbedingungen an der Balonspitze (2485m) in den südlichen Radstädter Tauern (Foto: Bernadette Höring, 22.04.2023).
Abb. 11: Feuchter Schneefall mit Wind begünstigt die Wechtenbildung. „Nonnen beim Gebet“ – am Hochzint (2247m) in den Leoganger Steinbergen (Foto: Uta Philipp, 22.04.2023).
Abb. 12: Eigentlich schon nicht mehr in Salzburg, jedenfalls aber eine Ausnahme wert: Spuren am Westgrat des Hohen Dachstein (2995m) im Grenzgebiet zu Oberösterreich und der Steiermark. Im Hintergrund das Tote Gebirge (Foto: Gerald Lehner, 22.04.2023).
Abb. 13: Neuschnee auf der Kürsingerhütte (2558m). Der Schneehöhenzuwachs ist vor allem im Hinblick auf die Ausaperung und folglich dem Abschmelzen der Gletscher in den Sommermonaten als positiv zu beurteilen (Foto: Christoph Lindenthaler, 24.04.2023).
Abb. 14: Verschneites Observatorium am Hohen Sonnblick (3105m; Foto: Hermann Scheer, 26.04.2023)…
Abb. 15: …im Vergleich zum langjährigen Mittel der vergangenen 30 Jahre ist die derzeitige Schneehöhe am Schneemessfeld des Hohen Sonnblicks (3105m) weiterhin etwas unter dem Durchschnitt.
Matthias Walcher ist Lawinenprognostiker im Team des operativen Lawinenwarndienstes Salzburg bei der Geosphere Austria. Neben der Verfassung von Lawinenvorhersagen und Blogeinträgen arbeitet er mit benachbarten Warndiensten an diversen Projekten im Fachbereich. In seiner Vergangenheit hat Matthias bereits für verschiedene europäische Warndienste gearbeitet, in Nord- und Südamerika Erfahrungen gesammelt und ist heute auch privat noch in verschiedenen Institutionen aktiv.