Aktuelle Situation
Altschneeproblem
Der viele Neu- und Triebschnee von Ende letzter Woche konnte sich in den letzten Tagen gut setzen und verfestigen. Dies konnte einerseits Wetterstationsgrafiken entnommen werden, wo die Setzung der Schneedecke als Abnahme der Schneehöhe (Abb. 1) ersichtlich wurde. Andererseits war dies auch im Gelände durch die abnehmende Einsinktiefe von Ski oder Schuhen im Laufe dieser Woche gut beobachtbar.
Abb. 1: Wetterentwicklung der vergangenen 7 Tage an den Wetterdaten der automatischen Wetterstation beim Alpincenter am Kitzsteinhorn. Gut zu erkennen sind die zwei Niederschlagsstaffeln in der Nacht auf Freitag, 03.02. sowie in der Nacht auf Samstag, 04.02. Besonders eindrücklich die Setzung nach den Schneefällen: Die Schneehöhe nimmt dabei von rund 185cm am Samstagmorgen auf heute 150cm ab.
Abb. 2: Trotz der großen Neuschneemengen hält sich die Einsinktiefe in Grenzen. Auch dies mitunter ein Resultat der Setzung und Verfestigung der Schneedecke (Foto: Peter Kostecka, 08.02.2023).
Dieser kompakte und vielerorts durchaus mächtige obere Teil der bestehenden Schneedecke überdeckt auch das mancherorts (v.a. Tauern) bestehende schwache Altschneefundament. Einzelne Skifahrer sind dadurch kaum mehr in der Lage Brüche in tieferliegenden Schwachschichten zu initiieren. Denkbar ist das an sehr ungünstigen Stellen, wo diese Schwachschichten näher an der Oberfläche liegen, beispielsweise an konvexen Bereichen sehr steiler Hänge oder an Felsvorsprüngen, in deren Umfeld die Schneedecke im Allgemeinen etwas geringmächtiger ist. Darüber hinaus ist die Situation auch dort etwas ungünstiger, wo im Vergleich weniger Schnee gefallen ist und somit Schwachschichten in der Altschneedecke allgemein leichter zu initiieren sind. Das betrifft die Hohen Tauern im Oberpinzgau aber auch den nördlichen Bereich der Goldberggruppe sowie die Ankogelgruppe. Gefahrenstellen liegen v.a. im Sektor Nord über Ost bis Südost. Wenn die Schwachschicht initiiert wird, können Lawinen auch groß werden. Low probability – high consequence!
- Schneeverteilung auf Touren im Auge behalten
- Schneearme Bereiche v.a. im sehr steilen Gelände meiden
- Standardmaßnahmen wie Einzelabfahrten und sichere Sammelpunkte (Stichpunkt große Zusatzbelastung) wählen.
Abb. 3: Schneedeckenuntersuchungen im Bereich der Tauern zeigen ein recht einheitliches Bild: ein sehr kompakter Stock an Neu- und Triebschnee der Niederschläge letzer Woche im oberen Teil der Schneedecke, darunter - mehr oder weniger ausgeprägt - ein schwaches Fundament mit kantigen Kristallen unterhalb oder zwischen Schmelzkrusten.
Abb. 4: Die verzeichneten Niederschlagsmengen in ganz Österreich. Interessant im Hinblick auf das Altschneeproblem sind die Bereiche, welche im Vergleich etwas weniger Schnee abbekommen haben und wo Schwachschichten demnach etwas leichter initiiert werden können.Dies gilt für die Hohen Tauern im Oberpinzgau, die nördloiche Goldberggruppe und auch die Ankogelgruppe.
Triebschneeproblem
Mit mäßig bis starkem Südostwind bildeten sich ab Mittwochnachmittag vor allem entlang der Tauern aber auch in den Hochlagen der Nordalpen frische kleine bis mittelgroße Triebschneeansammlungen. Diese wurden im nordseitigen Lee auf eine lockere Schneeoberfläche (Filz, kleine kantige Kristalle, mitunter Oberflächenreif) abgelagert und sind dort stellenweise durch geringe Zusatzbelastung störanfällig. Bei der ausgezeichneten Sicht sind diese Gefahrenstellen jedoch gut zu erkennen und können damit gemieden werden. Die umfangreichen älteren Triebschneeansammlungen vom Wochenende sind nicht mehr auszulösen. Vorsicht: Ausgelöste Triebschneepakete sind eine große Zusatzbelastung auf die Schneedecke und können Brüche in tieferen Schichten auslösen – somit auch große Lawinen initiieren!
- Frische Triebschneepakete meiden, dies gilt besonders für größere Ansammlungen, aber auch kleinere Triebschneepakete an großen Steilhängen (v.a. Tauern) oder oberhalb von Geländefallen.
Abb. 5: Pleißlingkeil (2501m) in den Niederen Tauern am Mittwochnachmittag. Der Südostwind führt zu großen Schneefahnen. Bei derzeit niedriger relativer Luftfeuchtigkeit sublimiert (Phasenübergang von fest zu gasförmig) allerdings auch ein nicht unwesentlicher Teil des aufgewirbelten Schnees und wird somit nicht als Triebschnee abgelagert (Foto: Clemens Wesenauer, 08.02.2023).
Gleitschneeproblem
Gerade in den letzten Tagen erreichten uns wieder vermehrt Meldungen von spontanen Gleitschneelawinen aus steilen Grashängen. Zeitlich sind Abgänge dieser sogenannten kalten Gleitschneelawinen nicht vorherzusagen.
- Um das Risiko hier möglichst niedrig zu halten, gilt es Bereiche unterhalb von Gleitschneerissen zu meiden oder zumindest möglichst schnell zu passieren, um die Expositionszeit zu reduzieren.
Abb. 6: Frische Gleitschneelawinen auf der Schoppachhöhe (2069 m) bei Kaprun (Foto: Robert Schoberleitner, 07.02.2023).
Abb.7: Zahlreiche Gleitschneelawinen und Fischmäuler auch an der Schwarzwand (2194 m) oberhalb von Wörth im Rauriser Tal. Bereiche unterhalb offener Gleitschneemäuler sollten gemieden werden (Foto: LWD Salzburg, 08.02.2023).
Rückblick
Ein kurzer Rückblick auf die vergangene Woche in Bildern.
Abb. 8: Bereits nach der ersten Niederschlagsstaffel am Donnerstag, 02.02. und in der Nacht auf Freitag zeigte sich die Schneedecke sehr störanfällig. Im Bereich der Waldgrenze und darunter wurde Neu- und Triebschnee in windgeschützten Lagen auf Wildschnee, stellenweise Oberflächenreif abgelagert. Diese Schwachschicht konnte leicht gestört werden. Vielerorts gingen während des Niederschlags in der Nacht spontane Schneebrett ab, wie hier im Glemmtal... (Foto: Joachim Mitterer, 03.02.2023)
Abb-. 9: ...oder auch im Nahbereich des Skigebiets Zauchensee in den Niederen Tauern (Foto: Christoph Thurner, 03.02.2023).
Abb. 10: Bei einer Geländeerkundung während des kurzen Schönwetterfensters zwischen den zwei Niederschlagsstaffeln am Freitagvormittag konnten wir uns mit Unterstützung der Alpinpolizei einen kurzen Überblick über die Situation verschaffen. Zum Teil waren große bis sehr große Abgänge von Schneebrettlawinen - vorwiegend aus ostexponierten Steilhängen zu beobachten. Im Bild eine große bis sehr große Lawine am Katzinger (2155 m) zwischen Rauris und Dorfgastein (Foto: LWD Salzburg, 03.02.2023).
Abb. 11: Auch Meldungen von personenausgelösten Lawinen erreichten uns am Freitag einige. Im Bild die vermutlich vielen bereits aus den Medien bekannte, mittlere bis große Schneebrettlawine auf der Schmittenhöhe (1965m) oberhalb Zell am See, welche am Freitagnachmittag von zwei Wintersportlern in der Abfahrt ausgelöst wurde. Glücklicherweise konnten die beiden Beteiligten aus der Lawine ausfahren und blieben unbeschadet (Foto: Joachim Buchner, 03.02.2023).
Abb. 12: Winterlich verschneites Weng in der Gemeinde Goldegg, Pongau (Foto: LWD Salzburg, 03.02.2023).
Abb. 13: Auch während der zweiten Niederschlagsstaffel Freitagnacht und Samstagmorgen erreichten uns zahlreiche Rückmeldungen zu spontanen großen und sehr großen Lawinenabgängen, wie hier im Raurisertal. Auch hier waren wieder vorwiegend Anbruchgebiete im Sektor Nordost über Ost bis Südost betroffen. Lokal wurden durch die Lawinenabgänge Flur- und Elementarschäden verzeichnet (Foto: Peter Riess, 04.02.2023).
Abb. 14: Funktionierende Schutzmaßnahmen, wie hier eine Lawinengalerie in Obertauern (Foto: Michael Koch, 04.02.2023).
Abb. 15: Spontane, große bis sehr große Schneebrettlawine, vermutlich während der zweiten Niederschlagsstaffel abgegangen. Kleines Jaidbachkees unterhalb der Jaidbachspitze (3100 m) im Obersulzbachtal (Foto: Mario Wallner, 08.02.2023).
Abb. 16: Neben der Schneebrettlawine ist besonders der Windeinfluss besonders eindrücklich. Nordwest-, aber auch Nordhänge wurden oft komplett abgeblasen. Der Bereich des Lawinenanrisses unterhalb des mittleren Bärenkopfs (3356 m) wurde hier durch den Wind von der Seite mit Triebschnee beladen (Foto: LWD Salzburg, 08.02.2023).
Ausblick
Morgen Freitag, 10.02. geht es mit sonnigem Wetter weiter, bevor uns am Samstagnachmittag eine kurze Störung aus Nordwest erreicht. Niederschlag gibt es nur wenig (Schneefallgrenze ~1000m), der Nordwestwind weht zwischenzeitlich jedoch kräftig und bildet vor allem entlang des Hauptkamms und im Lungau frische Triebschneeansammlungen. Ab Montag nimmt der Hochdruckeinfluss wieder zu, der Wind flaut ab, die Temperaturen steigen spürbar an. Lawinentechnisch gibt es also kaum Änderung. Auf frischen Triebschnee achten, gebietsweise ein Altschneeproblem, welches aber (vorerst) immer mehr in den Hintergrund rückt.
Abb. 17: In der Nacht auf Sonntag weht der Nordwestwind vor allem entlang des Alpenhauptkamms und südlich davon stark. Es bilden sich frische Triebschneeansammlungen.
Abb. 18: Bis zumindest nächstes Wochenende müssen wir uns mit dem Schnee begnügen, welcher schon auf dem Boden liegt. Erst am dem 20. Februar könnte uns eine Wetterumstellung bevorstehen.
Matthias Walcher ist neu im Team der Lawinenprognostiker*innen des Lawinenwarndienstes Salzburg. Neben der Verfassung von Lawinenvorhersagen und Blogeinträgen arbeitet er mit benachbarten Warndiensten an diversen Projekten im Fachbereich. In seiner Vergangenheit hat Matthias bereits für verschiedene europäische Warndienste gearbeitet, in Nord- und Südamerika Erfahrungen gesammelt und ist heute auch privat noch in verschiedenen Institutionen aktiv.