Aktuelle Situation
Einzelne Gefahrenstellen für trockene Schneebrettlawinen
In der vergangenen Woche hat sich der abnehmende Trend der Gefahr von trockenen Schneebrettlawinen, welcher mit Ende der Niederschläge zu Beginn des Monats eingesetzt hat, weiter fortgesetzt. Wolkenlose Tage und klare Nächte haben vor allem an Schattenhängen dafür gesorgt, dass die Schneedecke zunehmend an Bindung verloren hat. Der Prozess, welcher hier dahintersteckt, ist die sogenannte aufbauende Umwandlung. Durch die Wärmeabstrahlung der Schneedecke, welche besonders bei niedriger Luftfeuchtigkeit ausgeprägt stattfindet, sinkt die Temperatur der Schneeoberfläche stark ab und es entsteht ein großer Temperaturgradient im oberflächennahen Bereich der Schneedecke. Große kantige Kristalle wachsen auf Kosten von kleinen rundlichen Kristallen. Bei diesem Prozess gehen Bindungen zwischen den Kristallen verloren. Dies ermöglichte uns in den letzten Tagen noch pulvirge Abfahrten an Schattenhängen. Bindungslosem Schnee wiederum fehlen die „Brett“-Eigenschaften, um Brüche in der Schneedecke fortzupflanzen. Dies wirkt sich also positiv auf die Gefahrensituation aus. Darüber hinaus sind mögliche Schwachschichten im unteren Teil der Schneedecke – wie bereits im letzten Blog ausgeführt – recht mächtig überdeckt und können durch einzelne Wintersportler kaum mehr initiiert werden.
Bis auf ein durch einen Felssturz ausgelöstes Schneebrett in einem Osthang auf 2900m im Raurisertal (siehe Abb. 2) sind bei uns vergangene Woche keine Rückmeldungen mehr über frische Schneebrettlawinen eingegangen.
Sehr vereinzelt sind Gefahrenstellen für trockene Schneebrettlawinen noch im Bereich der Tauern denkbar. Dies oberhalb 2200m an sehr steilen (>35°) schattigen Nord- und Osthängen und mit meist großer Zusatzbelastung.
- Wir empfehlen dort (die immer sinnvollen) Standardmaßnahmen wie Einzelabfahrten und Entlastungsabstände im Aufstieg anzuwenden, um das Risiko möglichst gering zu halten.
- Zudem sollten Übergänge von wenig zu viel Schnee gemieden werden.
Abb. 1: Überblick der Lawinengefahr in den Alpen am 17. Februar 2023. Besonders in den Ostalpen überwiegt die geringe Lawinengefahr (© EAWS).
Abb. 2: Das Schneebrett an einem Osthang auf 2900m unterhalb der Goldbergspitze (3073m) und südlich vom Hohen Sonnblick (3106m) wurde am 12.2 gegen 12 Uhr durch einen Felssturz in einer bodennahen Schwachschicht ausgelöst. Die Anbruchmächtigkeit betrug bis zu 2m.
Gleitschnee- und Nassschneeproblematik
Mit den für die Jahreszeit zu milden Temperaturen hat sich vergangene Woche bereits ein Frühjahrs-ähnlicher tageszeitlicher Gang der Lawinengefahr eingestellt. Trotz der geringen Luftfeuchtigkeit führten Wärme und Sonneneinstrahlung an extrem steilen Südhängen ab den Mittagsstunden zu nasser Lockerschneeaktivität. Gleichzeitig aber führte die gute Abstrahlung in der Nacht zur Bildung eines tragenden Schmelzharschdeckels und in weiterer Folge auch zu teils guten Firn-Bedingungen.
Darüber hinaus war vermehrt spontane Gleitschneeaktivität an steilen Wiesenhängen und Felsplatten zu beobachten.
Abb. 3: Wetterentwicklung der vergangenen Woche an der Wetterstation Lauskopf oberhalb von Dienten. Milde Temperaturen, starke Sonneneinstrahlung und die trockene Luft haben zu einem deutlichen Rückgang der Schneehöhe geführt. Die gute Ausstrahlung der Schneedecke in den Nachtstunden kann am Gang der Schneeoberflächentemperatur (graue Linie in der zweiten Grafik von oben) gut nachverfolgt werden.
Abb. 4: Die sogenannten Fischmäuler sind entgegen altem Irrglauben KEIN Zeichen der Entspannung, sondern deuten auf Gleitbewegungen der Schneedecke hin. Bereiche unterhalb von Gleitschneerissen sollten möglichst gemieden werden. Bereich Tristenwandkopf (2232m) bei Fusch (Foto: LWD Salzburg, 14.02.2023).
Abb. 5: Spontane nasse Lockerschneelawine am Stichkogel (2034m) am Gosaukamm. Durch den Wärmeeintrag und dadurch entstehendes freies Wasser verlieren Schneekristalle ihre Bindung zueinander. Durch den Festigkeitsverlust der nassen Schneedecke kommt es zum Abgang dieser Lawinenart aus extrem steilem (>40°) Gelände (Foto: LWD Salzburg, 13.02.2023).
Weitere Entwicklung
Am allgemeinen Wesen der Gefährdungslage wird sich auch in den kommenden Tagen wenig verändern. Die Gefahr von trockenen Schneebrettlawinen bleibt gering. Auch der starke, mitunter stürmische Nordwestwind am Wochenende kann daran nichts rütteln. Es ist derzeit kaum lockerer Schnee vorhanden, welcher vom Wind transportiert werden könnte, Neuschnee gibt es nur in homöopathischen Dosen (siehe Abb. 7). Etwaige kleine Triebschneeansammlungen kommen zudem auf einer allgemein sehr günstig beschaffenen Schneeoberfläche zu liegen und können dort kaum gestört werden.
Zudem bleibt es vorerst für die Jahreszeit deutlich zu mild, auch wenn die Temperaturen am Sonntag und Montag zwischenzeitlich etwas gedämpft sind. Die Luftfeuchtigkeit ist dabei im Vergleich zu den vergangenen Tagen etwas höher, dies vermindert die Abstrahlung der Schneedecke in den Nachtstunden. Mit teils diffuser Strahlung am Tag können auch schattige Expositionen bis in hohe Lagen (>2000m) angefeuchtet werden. Es bleibt also bei den frühlingshaften Bedingungen und einem tageszeitlichen Gang der Lawinengefahr. Auch Gleitschneelawinen sind weiterhin möglich.
- Bei Touren die Durchfeuchtung der Schneedecke verfolgen. Wenn die Schneedecke faul und weich wird, ist dies ein Anzeichen für eine erhöhte Gefährdung von Nassschneelawinen. Felsdurchsetztes Steilgelände und Bereiche darunter sind dann gefährdet und sollten gemieden werden.
- Bereiche unter Gleitschneerissen sollten gemieden oder zügig passiert werden.
Abb. 6: Am Wochenende weht der Nordwestwind in exponierten Lagen auch stürmisch. Allerdings findet der Wind derzeit kaum verfrachtbaren Schnee und wirkt sich somit kaum auf die Lawinengefahr aus.
Abb. 7: Neuschnee ist vorerst leider keiner in Sichtweite. Die verheißungsvollen Prognosen der vergangenen Tage haben sich nicht bewahrheitet (© Bergfex).
Abb. 8: Am Sonntag und Montag erwartet uns ein kurzes Intermezzo mit etwas kühleren Temperaturen und (wenig) Neuschnee oberhalb rund 1500m, danach steigen die Temperaturen allerdings rasch wieder an.
Rückblick
Ein kurzer Rückblick auf die vergangene Woche in Bildern.
'Abb. 9: Die günstige Lawinensituation erlaubte vergangene Woche zunehmend Touren im sehr steilen Gelände. Strichkogel (2034m), Gosaukamm (Foto: LWD Salzburg, 12.02.2023).
Abb. 10: Wer die Situation richtig zu lesen vermochte und seine Touren entsprechend gut plante, konnte vergangene Woche Sonnseitig bereits sehr gute Firnbedingungen vorfinden. Ochsinger (1978m), Dientner Grasberge (Foto: Markus Hirnböck, 14.02.2023).
Abb. 11: Exponierte Hangpartien sind im ganzen Land bereits stark windbeeinflusst oder wie in diesem Fall komplett abgeblasen. Schneibstein (2276m), Hagengebirge (Foto: Annamirl Hufstein, 13.02.2023).
Abb. 12: Windzeichen am Hocheiser (3206m; Foto: Uta Philipp, 14.02.2023).
Abb. 13: Noch dürftige Schneelage in der Rumpelkammer im Tennengebirge (Foto: Peter Bruckbauer, 15.02.2023).
Abb. 14: Auch am Gennerhorn (1735m) in der Osterhorngruppe wäre zumindest für den Wintersportler etwas Neuschneezuwachs erbeten (Foto: Gerd Frühwirth, 12.02.2023).
Abb. 15: Gleitschneelawine an einem steilen Grashang am Steinernen Meer. Ist die Schneedecke durchfeuchtet und bis zum Boden hin isotherm, ist auch diese Lawinenart - wie auch die Nassschneelawinen - zunehmend einem tageszeitlichen Gang unterworfen. Ein Abgang am Nachmittag ist also wahrscheinlicher als in der Nacht, da durch das Schmelzen freies Wasser bis zur Gleitfläche am Boden dringen kann (Foto: Uta Philipp, 12.02.2023).
Matthias Walcher ist neu im Team der Lawinenprognostiker*innen des Lawinenwarndienstes Salzburg. Neben der Verfassung von Lawinenvorhersagen und Blogeinträgen arbeitet er mit benachbarten Warndiensten an diversen Projekten im Fachbereich. In seiner Vergangenheit hat Matthias bereits für verschiedene europäische Warndienste gearbeitet, in Nord- und Südamerika Erfahrungen gesammelt und ist heute auch privat noch in verschiedenen Institutionen aktiv.