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Heads up! Der Winter ist noch nicht vorbei.

Der viele Neu- und Triebschnee der vergangenen Tage ist in der Höhe störanfällig. Mit warmen Temperaturen und Sonneneinstrahlung geht die Gefahr von trockenen Schneebrettlawinen in den nächsten Tagen rasch zurück – damit einher geht allerdings auch ein (tageszeitlicher) Anstieg der Gefahr von Nassschneelawinen. Eine gute Zeiteinteilung und aufmerksames Verfolgen der Gefahrensituation sind am langen Wochenende die Schlüssel zu sicheren Unternehmungen im Gelände.  

Aktuelle Situation 

Während zweier Niederschlagsstaffeln – der ersten von Sonntagnachmittag, 14.05. bis Montag, 15.05. und einer weiteren von gestern Dienstag, 16.05. bis heute Mittwoch, 17.05. – sind auf den Bergen neuerdings beachtliche Neuschneemengen gefallen. In Summe wurden 40 bis 60mm Niederschlag verzeichnet, was auf den Bergen einer gesetzten Neuschneemenge in derselben Größenordnung entsprechen dürfte. 


Abb. 1: Niederschlagssumme der vergangenen drei Tage: Recht verbreitet sind im Salzburger Land 40 bis 60mm Niederschlag gefallen. Die Glocknergruppe erscheint in dieser Grafik etwas unterrepräsentiert; unsere Beobachter am Kitzsteinhorn meldeten uns auf 2900m eine 72h Neuschneesumme von rund 80cm.  
 


Abb. 2: In der Wetterstationsgrafik gut zu erkennen sind die beiden Niederschlagsstaffeln vom 14.05. auf 15.05. sowie von 16.05. auf 17.05. Auch die Temperaturen sind deutlich zurückgegangen. Die Schneefallgrenze sank in der Nacht auf Mittwoch, 17.05. zeitweise unter die Waldgrenze.
 

Vor allem in exponierten Hochlagen entlang des Alpenhauptkamms verfrachtete mäßig bis starker Wind aus nördlichen Richtungen den lockeren Neuschnee und bildete umfangreiche Triebschneeansammlungen. Die Lawinenkommission am Kitzsteinhorn berichtete uns heute Mittwoch, 17.05. von sehr guten Sprengerfolgen und einer allgemein sehr störanfälligen Schneedecke. Zeitweise durch die Wolken dringende diffuse Strahlung führte bereits zu einem leichten Anfeuchten der Schneeoberfläche und vereinzelten nassen Lockerschneerutschen aus extremem Steilgelände. Allgemein haben wir es derzeit vorwiegend mit einer Neuschneeproblematik zu tun, Anzahl der Gefahrenstellen und Störanfälligkeit der Schneedecke lassen auf ERHEBLICHE Lawinengefahr in hohen Lagen und im Hochgebirge schließen.  

Weitere Entwicklung 

In den kommenden Tagen steigen die Temperaturen sukzessive an. Zudem führen (direkte & diffuse) Sonneneinstrahlung sowie feuchte Luft für starken Wärmeeintrag in die Schneedecke. Dies hat den Effekt, dass sich Neu- und Triebschnee recht rasch setzen und verfestigen und die Gefahr von trockenen Schneebrettlawinen abnimmt. Gleichzeitig jedoch kommt es zu einer zunehmenden Durchfeuchtung der Schneedecke und die Nass- und Gleitschneeproblematik werden im Hinblick auf die Lawinengefahr dominierend:

1) Bei erster Sonneneinstrahlung – vor allem am Donnerstag, 18.05. – sind zahlreiche kleine und mittlere Lockerschneelawinen aus felsdurchsetztem Steilgelände zu erwarten. Diese können vereinzelt auch Schneebrettlawinen durch Zusatzbelastung initiieren. 

2) Mit zunehmender Durchfeuchtung der Schneedecke im Tagesverlauf sind dann auch mittlere und große spontane nasse Schneebrettlawinen v.a. aus hochgelegenen (>2600m) schattigen Einzugsgebieten möglich. Diese Gefährdung nimmt in den Folgetagen mit immer wärmer werdenden Temperaturen zu. Wichtig für Unternehmungen im Gelände ist hierbei auch die Bewölkung in den Nachtstunden zu beachten: bei starker Bewölkung strahlt die Schneedecke kaum Wärme ab und eine Gefährdung kann bereits am Vormittag gegeben sein. Vorsicht auch auf Hüttenzustiegen. Allgemein ist ein rechtzeitiges Beenden von Skitouren in den kommenden Tagen anzuraten. Wenn die Schneedecke faul und weich wird, ist dies ein Indiz für eine erhöhte Gefährdung von Nassschneelawinen.

3) An steilen Wiesenhängen sind spontane Gleitschneelawinen möglich. Auch deren Aktivität folgt zu dieser Jahreszeit meist einem Tagesgang. Bereiche mit Gleitschneerissen sollten (insbesondere ab den Mittagsstunden) gemieden werden. 


Abb. 3: Wetterentwicklung bis Montag, 22.05. Die Temperaturen steigen von Tag zu Tag etwas an, die Luftfeuchtigkeit bleibt recht hoch. Die Nächte scheinen aus derzeitiger Sicht nur teilweise klar zu sein. Hilfe zur Einschätzung der nächtlichen Abstrahlung bietet im Vorfeld die Bewölkungsanimation auf der Seite der GeoSphere Austria, im Nachgang sind Webcambilder besonders hilfreich. 
 


Abb. 4: Sehr große nasse Schneebrettlawine an einem ONO- Hang auf ca. 2750m an der Hohen Dock (3348m) im Fuschertal. Diese Lawine löste sich am Samstagmittag, 13.05. spontan und zeugt vom noch bestehenden Lawinenpotenzial in hohen und hochalpinen Lagen der Tauern (Foto: panomax.com, 13.05.2023).  
 


Abb. 5: Auch diese große bis sehr große nasse Schneebrettlawine an einem NO- Hang auf rund 2600m am Hohen Sonnblick (3106m) löste sich am frühen Samstagnachmittag, 13.05. spontan. Die Ablagerung erreichte den Talboden (Foto: foto-webcam.eu, 14.05.2023).  
 


Abb. 6: Schneehöhenentwicklung und Temperaturentwicklung am Kitzsteinhorn: Oberhalb rund 2500m liegt derzeit so viel Schnee wie den ganzen Winter über nicht...  
 


Abb. 7: …unterhalb rund 2200m hingegen hat die Schneemächtigkeit seit Monatsbeginn mit milden Temperaturen deutlich abgenommen. 
 


Abb. 8: Prognostizierte Neuschneesumme inkl. Setzung bis Monatsende am Gitterpunkt Hoher Sonnblick (3109m): aus derzeitiger Sicht sind vorerst keine ergiebigen Neuschneefälle mehr zu erwarten.

 


 


Matthias Walcher ist Lawinenprognostiker im Team des operativen Lawinenwarndienstes Salzburg bei der Geosphere Austria. Neben der Verfassung von Lawinenvorhersagen und Blogeinträgen arbeitet er mit benachbarten Warndiensten an diversen Projekten im Fachbereich. In seiner Vergangenheit hat Matthias bereits für verschiedene europäische Warndienste gearbeitet, in Nord- und Südamerika Erfahrungen gesammelt und ist heute auch privat noch in verschiedenen Institutionen aktiv.