Die Lawinensituation auf Salzburgs Bergen ist geprägt vom derzeit sehr wechselhaften Aprilwetter mit starken Temperaturschwankungen sowie Niederschlägen mit entsprechend variabler Schneefallgrenze. In der Höhe führt(e) der Neuschnee in Kombination mit Wind aus wechselnden Richtungen zu einer Triebschneeproblematik, in mittleren Lagen ist die Schneedecke stark durchfeuchtet und schwach. Zudem sind mögliche Schwachschichten nach dem Gefahrenmuster kalt auf warm denkbar.
Aktuelle Situation
Seit Einzug der Kaltfront in der Nacht auf Samstag, 25.03. zeigte sich das Wettergeschehen in der vergangenen Woche sehr wechselhaft. Entsprechend komplex zeigt sich auch die Lawinensituation.
Viel Neuschnee und stark bis stürmischer Wind haben zur Bildung von teils umfangreichen frischen Triebschneepaketen geführt. Diese haben sich am gestrigen Donnerstag, 30.03. mit den milden Temperaturen bereits etwas gesetzt. Gleichzeitig hat Regen bis in hohe Lagen (teilweise bis 2800m hinauf) die Schneedecke geschwächt zu einem vorübergehenden Anstieg der Gefahr von Nass- und Gleitschneelawinen gesorgt. Diese Problematik begleitet uns auch heute noch; warme, feuchte Luft und Regen bis auf 2000m schwächen die Schneedecke.
In der Nacht auf Samstag, gehen die Temperaturen etwas zurück, Schneeschauer sorgen oberhalb 1400 bis 1800m für etwas Neuschneezuwachs. Mit kräftigem Westwind entstehen neuerdings frische Triebschneepakete, welche bei der oft schlechten Sicht aber schwer zu erkennen sind.
Abb. 1: Neuschneeprognose inkl. Setzung bis Sonntagmittag, 02.04. In hohen Lagen (>2000m) kommen rund 10 bis 20 cm Neuschnee hinzu.
Abb. 2: Der Wind weht auf den Bergen bis in die Nacht auf Sonntag, 02.04. teils stark aus westlichen Richtungen, danach flaut er vorübergehend ab .
Möglich erscheint im Anbetracht der stark schwankenden Temperaturen – und v.a. in Bezug auf den Regen, welcher uns gestern Donnerstag bis weit hinauf rückgemeldet wurde – eine Ausbildung von dünnen, kantigen Schwachschichten im Bereich von Schmelzkrusten. Man spricht hierbei von einer Schwachschichtentwicklung nach dem Gefahrenmuster kalt auf warm: Auf eine feuchte Schneedecke wird kalter Neuschnee abgelagert und es entsteht dadurch mitunter ein großer Temperaturgradient innerhalb weniger Zentimeter Schnee, wodurch Schneekristalle aufbauend umgewandelt werden. Ist diese entstehende Schicht kantiger Kristalle von einem Schneebrett überlagert, ist dadurch im Steilgelände eine Lawinenauslösung möglich.
Einerseits könnte eine entsprechende Entwicklung an der nassen Schneeoberfläche vom vergangenen Freitag, 24.03. vonstattengegangen sein, möglich erscheint dies auch als Folge der gestrigen Anfeuchtung der Schneeoberfläche durch Regeneintrag. Die Eingrenzung dieser möglichen Problematik ist – auch aufgrund derzeit sehr wenig Rückmeldungen – recht schwer, die damit verbundenen Unsicherheiten sind entsprechend groß. Betroffen sind aber unserer Einschätzung nach Hänge aller Expositionen oberhalb etwa 2500m, oberhalb 2800m vorwiegend Sonnenhänge. In entsprechender Höhe ist Vorsicht angebracht; wir sind über Rückmeldungen zu dieser Entwicklung (kurzer Blick in die Schneedecke mit Stabilitätstest) sehr dankbar: lawine(at)salzburg.gv.at
Abb. 3: Relevant hinsichtlich der Ausbildung von Schwachschichten nach dem Gefahrenmuster ‚kalt auf warm‘ sind vor allem der markante Temperatursturz aufgrund der Kaltfront in der Nacht auf Samstag, 25.03. sowie eine ähnlich gelagerte Entwicklung in der Nacht auf Freitag, 31.03. Wesentlich im Hinblick auf die Lawinengefahr ist eine Überlagerung entsprechender Schwachschichten mit einem gebundenen Brett.
Ausblick
In einer wechselhaften Westströmung werden über das Wochenende hinweg feuchte Luftmassen an die Alpen herangeführt. Ausgehend von einem Tief weit im Norden Europas nähert sich ein Frontensystem an Österreich an. Bis Montag, 03.04. fallen am Hauptkamm und nördlich davon 10 bis 20cm Neuschnee, im Lungau nur wenige Zentimeter. Die Temperaturen gehen neuerlich um rund 10 Grad zurück, die Nullgradgrenze fällt in der Nacht auf Montag auf unter 1000m.
Abb. 4: Wetterentwicklung bis Mitte nächster Woche am Teufelshorn auf ca. 2100m in den Berchtesgadener Alpen. Bis inklusive Montag ist es zumeist recht bewölkt, es fällt etwas Neuschnee. Die Temperaturen fallen markant ab.
Abb. 5: Prognostizierte Neuschneesumme in Obertauern auf 1770m Seehöhe. Bis Montag ist inkl. Setzung mit rund 20cm Neuschneezuwachs zu rechnen.
Mit den sinkenden Temperaturen geht die Gefahr von Nassschneelawinen zurück. In der Höhe bleibt die Triebschneeproblematik vorherrschend. Zudem können etwaige kantige Schwachschichten an Schmelzkrusten an Steilhängen oberhalb etwa 2500m lawinenrelevant sein. Mit Sonneneinstrahlung ab Montagnachmittag und am Dienstag sind zudem meist kleine, spontane Lockerschneelawinen aus felsdurchsetztem Steilgelände wahrscheinlich.
Frische Triebschneeansammlungen sollten möglichst gemieden werden. Oberhalb 2500m gilt es aufgrund der recht hohen Unsicherheit im Hinblick auf mögliche störanfällige Schwachschichten besonders aufmerksam und vorsichtig zu agieren.
Rückblick
Ein kurzer Rückblick der vergangenen Tage in Bildern.
Abb. 6: Wetterentwicklung in den vergangenen rund 14 Tagen an der Wetterstation Zepperkar (2150m) in der Ankogelgruppe. In den Tagen bis zum 24.03. wurde die Schneedecke bei warmen Temperaturen und Sonneneinstrahlung bis weit hinauf stark durchfeuchtet – ein Nassschneezyklus war die Konsequenz. Seither zeigte sich das Wetter sehr wechselhaft mit schwankenden Temperaturen, Niederschlag und viel Wind.
Abb. 7: Überschneite Ablagerung einer spontanen Nassschneelawine welche während des Nassschneezyklus bis zum 24.03. abgegangen sein dürfte. Schoberschartl im Bereich Hochkönig (Foto: Leonhard Stock, 26.03.2023).
Abb. 8: Der Neuschnee, welcher in der Nacht auf Samstag, 25.03. gefallen war (hier im Bereich der nördlichen Glocknergruppe rund 20-25cm) wurde auf eine durchnässte Schneedecke abgelagert. Der gebundene Neuschnee (inkl. einer dünnen Schmelzkruste) bildeten das Schneebrett, die durchnässte Schneedecke darunter die Schwachschicht für die Schneebrettlawinen, welche sich am Samstag, 25.03. vielerorts spontan lösten oder durch Zusatzbelastung von z.B. Lockerschneelawinen ausgelöst wurden (Foto: Mario Wallner, 25.03.2023).
Abb. 9: Dieses nasse Schneebrett an einem Osthang auf rund 2000m im Bereich der Matehanshöhe (2086m) in Schönfeld (Lungau) ist mit der Erwärmung und feuchten Luft am 26.03. spontan abgegangen. In der Sturzbahn wurde die vollkommen durchnässte Schneedecke bis zum gewachsenen Boden mitgerissen (Foto: Thomas Eckersdorfer, 26.03.2023).
Abb. 10: Ergiebiger Schneefall von Sonntagabend bis Dienstagmorgen, 28.03. mit Neuschnee bis in Tallagen sorgte für winterliche Verhältnisse. Mit diffuser und direkter Sonneneinstrahlung wurde der Schnee in mittleren Lagen allerdings rasch feucht und schwer, wie hier in Gasteg (1762m) im Glemmtal (Foto: Uta Philipp, 28.03.2023).
Abb. 11: In vom stark bis stürmischen Wind geschützten Lagen konnte man in der Höhe jedoch trockenen, pulvrigen Schnee antreffen und bei etwas Wetterglück eine schöne Abfahrt genießen. Hoferkar unterhalb des Grüneckkogels (2623 m) in den Hohen Tauern (Foto: LWD Salzburg, 28.03.2023).
Abb. 12: Kurzzeitige Rückkehr des Winters auch am Gennerhorn (1735m). Am darauffolgenden Mittwoch, 29.03. stiegen die Temperaturen wieder deutlich an und es regnete in der Osterhorngruppe bis über Gipfelniveau (Foto: LWD Salzburg, 28.03.2023).
Abb. 13: Ein Bild passend zur aktuellen Situation: In den Tälern sprießt das Grün, auf den Bergen herrschen oft noch winterliche Bedingungen. Im Bild das Riemannhaus in der Ramscheider Scharte auf 2177m. Links davon der Sommerstein (2308m), im Hintergrund Saalfelden (Foto: Gerald Lehner, 22.03.2023).
Matthias Walcher ist Lawinenprognostiker im Team des operativen Lawinenwarndienstes Salzburg bei der Geosphere Austria. Neben der Verfassung von Lawinenvorhersagen und Blogeinträgen arbeitet er mit benachbarten Warndiensten an diversen Projekten im Fachbereich. In seiner Vergangenheit hat Matthias bereits für verschiedene europäische Warndienste gearbeitet, in Nord- und Südamerika Erfahrungen gesammelt und ist heute auch privat noch in verschiedenen Institutionen aktiv.