Am vergangenen Wochenende ereigneten sich auf den Bergen Salzburgs zwei Lawinenunfälle mit Personenbeteiligung. Am Grießner Hochbrett (2470m) in den Leoganger Steinbergen löste eine 6-köpfige Skitourengruppe ein trockenes Schneebrett in extremem Steilgelände aus, am Hochtor (2230m), im Aufstieg zum Schwarzkopf (2765m) im Fuschertal, wurde eine junge Frau von einer spontanen Gleitschneelawine überrascht. In beiden Fällen wurden Personen erfasst und mitgerissen, beide Unfälle gingen glimpflich aus.
Lawinenunfall Grießner Hochbrett (Leoganger Steinberge) am 18.03.2023
Eine ungeführte Skitourengruppe von sechs Personen stieg vom Parkplatz der Vorderkaseralm im Saalachtal zwischen St.Martin und Weißbach durch die Große Saugrube zum Grießner Hochbrett auf. Kurz unterhalb des Gipfels, an einem extrem steilen (>40°) Nordosthang auf ca. 2450m löste die Gruppe gegen 13:45 Uhr eine mittelgroße Schneebrettlawine aus. Vier Personen wurden von der Lawine erfasst, zum Teil durch felsdurchsetztes Steilgelände mitgerissen und teilverschüttet. Die vier verletzten Personen wurden von den alarmierten Rettungshubschraubern in umliegende Krankenhäuser transportiert.
Abb. 1: Lawinenunfall am Grießner Hochbrett (2470m) am 18.03.2023. Der schwarze Pfeil signalisiert die Aufstiegsspur, die roten Kreise die Verschüttungsstellen. Die Lawine war etwa 200m breit und 500m lang. Die beteiligten Personen wurden teilweise über felsdurchsetztes Steilgelände mitgerissen (Foto: Alpinpolizei, 18.03.2023).
Abb. 2: Grobe Skizze der Lawinenbahn am Grießner Hochbrett (2470m). Der obere Bereich des Anrisses, wo mit hoher Wahrscheinlichkeit die Auslösung der Schneebrettlawine stattfand, ist violett eingefärbt und signalisiert in der Karte extremes Steilgelände (>40°; ©OpenSlopeMap).
Abb. 3: Charakteristisches Anbruchgebiet einer Schneebrettlawine mit der Anrisskante und dem nach unten hin abschließenden Stauchwall. Darunter folgt die sogenannte Sturzbahn der Lawine (Foto: Alpinpolizei, 18.03.2023).
Abb. 4: Die Anrissmächtigkeit betrug maximal 100cm, meist aber zwischen 30cm und 50cm. Es handelte sich hierbei um Triebschnee, welcher Mitte vergangener Woche mit Nordwestwind in den Unfallhang eingetragen wurde. Als Schwachschicht könnten aufbauend umgewandelte Schneekristalle an einer dünnen Regenkruste (GM4, kalt auf warm) kausal gewesen sein: zu Beginn des Niederschlags Mitte letzter Woche regnete es kurzzeitig deutlich über 2000m hinauf, danach folgte eine deutliche Abkühlung mit Schneefall. Leider konnten am Unfallort zeitnah keine klärenden Schneedeckenuntersuchungen durchgeführt werden (Foto: Alpinpolizei, 18.03.2023).
Abb. 5: Die erfassten Personen wurden teilverschüttet, konnten von den Kameraden geborgen und von Rettungshubschraubern evakuiert werden (Foto: Alpinpolizei, 18.03.2023).
Lawinenunfall Hochtor (Glocknergruppe) am 19.03.2023
Ein Skitourengeher- Paar aus dem Pinzgau war gegen 10:00 Uhr im Aufstieg von Bad Fusch in Richtung Schwarzkopf (2765m) in der nördlichen Glocknergruppe. Unterhalb der Rieger Hochalm, als das Paar auf ca. 1550m den Wald verlassen hatte und auf freie Almflächen wechselte, wurden die beiden von den Ausläufern einer Gleitschneelawine überrascht, welche sich hunderte Meter über ihnen, an einem Nordosthang auf 2060m spontan gelöst hatte. Die Frau wurde erfasst, gut 50m mitgerissen und teilverschüttet. Die Skitourengeherin erlitt leichte Verletzungen im Gesicht. Das Paar konnte in weiterer Folge selbstständig abfahren.
Da unklar war, ob noch weitere Personen verschüttet wurden, wurde eine großangelegte Suchaktion mit LVS-, Recco-Geräten und Lawinensuchhunden von den Einsatzkräften der Bergrettung und der Alpinpolizei in Gang gesetzt, welche negativ verlief. Eine weitere spontane Gleitschneelawine löste sich während der Rettungsarbeiten aus demselben Einzugsgebiet. Diese wurde jedoch von einem extra dafür abgestellten Beobachtungsposten gesichtet, wonach sich Bergretter rechtzeitig in Sicherheit begeben konnten.
Abb. 6: Lawinenunfall am Hochtor (2230m) am 19.03.2023. Der rote Kreis markiert die ungefähre Erfassungsstelle der mitgerissenen Person. Die im Anbruchbereich kleine Gleitschneelawine riss in der Sturzbahn nassen, ungebundenen Schnee mit sich und entwickelte große Ausmaße. Das Anbruchgebiet liegt auf rund 2000m, die unteren Ausläufer auf ca. 1450m. Die Sturzbahn betrug knappe 1000m (Foto: LWD Salzburg, 19.03.2023).
Abb. 7: Der rot markierte Bereich zeigt die Unfalllawine, die blaue Gleitschneelawine löste sich während des Rettungseinsatzes, konnte aber in der Sturzbahn weniger Schnee mitreißen und blieb deshalb kleiner (Foto: LWD Salzburg, 19.03.2023).
Abb. 8: Man erkennt mehrere Gleitschneerisse, welche vermutlich bereits vor dem Abgang am Sonntag, 19.03. ersichtlich waren. Mit zunehmender Durchfeuchtung und folglich auch mehr freiem Wasser in der Schneedecke (und am gewachsenen Boden) nehmen Gleitaktivitäten derzeit zu. Wenn die Schneedecke zusätzlich schwach wird und von den Schneemassen mitgerissen werden kann, ist das Potenzial für große Lawinen – im entsprechenden Gelände – groß. (Foto: LWD Salzburg, 19.03.2023).
Abb. 9: Übersichtsbild der Gleitschneelawine von oben. Von der Erfassungspunkt aus ist das Einzugsgebiet nicht zu erkennen. Hier kann man von großem Glück im Unglück sprechen (Foto: LWD Salzburg, 19.03.2023).
Abb. 10: Charakteristischer Auslaufbereich einer nassen Lawine: solche Knollen bilden sich erst, wenn der Lawinenschnee zumindest -1°C oder wärme Temperaturen erreicht (Foto: Wolfgang Waraschitz, 19.03.2023).
Matthias Walcher ist Lawinenprognostiker im Team des operativen Lawinenwarndienstes Salzburg bei der Geosphere Austria. Neben der Verfassung von Lawinenvorhersagen und Blogeinträgen arbeitet er mit benachbarten Warndiensten an diversen Projekten im Fachbereich. In seiner Vergangenheit hat Matthias bereits für verschiedene europäische Warndienste gearbeitet, in Nord- und Südamerika Erfahrungen gesammelt und ist heute auch privat noch in verschiedenen Institutionen aktiv.